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Geschichte von Industriebetrieben in Mittelhessen-
Eine Webseite des "Mittelhessen e.V". des RP Gießen und des "Netzwerkes Industriekultur Mittelhessen"
Nachdem Emil von Behring, der in Marburg Impfstoffe gegen Diphterie und Tetanus entwickelte, und Paul Ehrlich den ersten Medizin-Nobelpreis erhielten, wurde in Marburg ein pharmazeutisches Werk gegründet, in dem diese und weitere Impfstoffe hergestellt wurden. Obwohl Behring in seinem Privatlabor verblieb, um dort zu forschen, trug das in der Marbach errichtete Werk seinen zugkräftigen Namen. Inzwischen ist ein riesiger Industriepark daraus entstanden, in dem mehrere Unternehmen einige Tausend Mitarbeiter beschäftigen.
Emil Adolf Behring (1845-1917) erhielt vom preußischen Staat ein Stipendium zur Erreichung des Abiturs mit der Auflage, danach acht Jahre als Truppenarzt tätig zu sein. In seiner Militärzeit entwickelte er im ständigen Austausch mit anderen Medizinern aus Blutserum Impfstoffe gegen Diphterie und Tetanus. Diphterie wurde vor allem in den schlechten Wohnbedingungen der rasant wachsenden Städte zu Volksseuche und Tetanus entstand häufig durch Verletzungen von Soldaten. Behring wurde vom Kaiser Wilhelm II. dafür hoch ausgezeichnet.
Nachdem Behring 1895 einem Ruf an die Universität Marburg gefolgt war, richtete er 1896 am Schlossberg am »Breiten Weg« ein für seine Zeit sehr modernes Privatlaboratorium ein, für das die Farbwerke Höchst 37.000 Mark beigesteuert hatten. Hier widmete er sich nun insbesondere der Erforschung der Tuberkulose, während er die Versuche zur Optimierung des Diphtherie- und Tetanusheilserums im Hygienischen Institut der Marburger Universität, dessen Direktor er war, fortsetzte. Für diese Experimente erhielt Behring von den Farbwerken in Höchst eine Unterstützung von jährlich 20.000 Mark. Die Impfstoffe wurden von den chemischen Werken in Höchst nach den Forschungen von Emil Behring und Paul Ehrlich aus dem Blut von Pferden und anderen Tieren gewonnen und bescherte dem Unternehmen hohe Gewinne.
Laut Vertrag von 1894 übernahmen die Farbwerke die Herstellung und den Vertrieb des Diphtherieheil-serums; Behring wurde als wissenschaftlicher Berater verpflichtet.
Wegen Produktionsschwierigkeiten im Sommer 1902 kam es allerdings zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem Höchster Produktionsleiter Arnold Libbertz (1843–1916). Diese Meinungsverschiedenheiten konnten bald wieder beseitigt werden, indes waren sie für Behring Anlass, den bis 1904 geschlossenen Vertrag mit den Farbwerken Hoechst nicht zu verlängern. Der Grund lag wohl u.a. darin, dass Behring eine schwierige Persönlichkeit war, die in erster Linie seinen Namen und seinen finanziellen Vorteil suchte. Ein weiterer Grund für die Beendigung der Zusammenarbeit bestand darin, dass Behring hoffte, als Ergebnis seiner Forschungen zu Tuberkuloseseren ein Antituberkulosemittel auf den Markt bringen zu können. Die Farbwerke arbeiteten aber auf diesem Gebiet bereits mit Robert Koch (1843–1910) zusammen, zu dem Behring inzwischen in einem gespannten Verhältnis stand. Außerdem gab es Pläne, ein staatliches Zentralinstitut zur Serum- und Impfstoffherstellung zu errichten, dessen Leiter Behring werden sollte. Dieser Plan wurde jedoch nicht umgesetzt. Aus diesen Gründen ging Behring eine Verbindung mit dem Marburger Unternehmen »Dr. Siebert und Dr. Ziegenbein oHG« ein, das bereits ab dem 15. August 1903 den Vertrieb des Tetanusheilserums und des Bovovaccins, eines Tuberkuloseimpfstoffs für Rinder, übernahm.
Gründer dieser Firma war der Marburger Apotheker Dr. Carl Siebert (1863–1931), der 1902 die elf Jahre zuvor die Apotheke „Zum Schwan“ seines Vaters übernommen und dann verkauft hatte. Gemeinsam mit dem physiologischen Chemiker Hans Ziegenbein (1867–1920) gründete er die »Dr. Siebert & Dr. Ziegenbein oHG« mit Sitz in Marburg in der Kasseler Straße zur Fabrikation und zum Verkauf chemischer Präparate.
Bereits 1901 wurde Behring für seine bahnbrechende Serumtherapie gegen Diphterie der Nobelpreis verliehen. Es war der erste Nobelpreis für Medizin überhaupt. 1904 errichtete er zusammen mit dem Apotheker Dr. Siebert am 9. Juli 1904 das nach ihm benannte „Behring-Werk oHG“, das bald zum Weltunternehmen auf dem Gebiet der Pharmazie wurde. Am 7. November 1904 erfolgte die Eintragung der Gesellschaft unter dem Namen »Offene Handelsgesellschaft Behring-Werk, Inhaber von Behring und Siebert« in das Handelsregister Das Unternehmen startete mit 12 Mitarbeitern und einer Rinderherde auf seinem Gutshof in Marbach (heute ein Ortsteil von Marburg). Siebert war alleiniger Geschäftsführer. Behring hielt sich als stiller Teilhaber im Hintergrund. 1911 erwarb er weitere Ländereien sowie eine alte Ziegelei und ließ Stallungen für die Serumtiere errichten.
Für eine industrielle Produktion benötigte Behring und Siebert mehr Kapital, die er von Geldgebern aus Bremen erhielt. 1914 erfolgte Gründung der Behringwerke G.m.b.H. zunächst in Bremen und dann in Marburg mit einem Stammkapital von 675 000 Mark und den Geschäftsführern Dr. William Söder (Bremen) und Dr. Carl Siebert (Marburg). Behring ist Vorsitzender des Aufsichtsrates. Mitglieder des ersten Aufsichtsrates sind neben Behring Carl August Fritze, Otto August Fritze, Walther Freudenberg und Carl Heinrich Hubert Cremer. Es ermöglichte größere Investitionen, so dass die fabrikmäßige Herstellung von Diphtherie und Tetanus-serum möglich wurde. Der erste Weltkrieg verlangte nach zusätzlichen Produkten, insbesondere gegen Tetanus, Ruhr, Gasbrand und Cholera. 1915 wurden alleine 2 Millionen Dosen Tetanusserum an das Heer ausgeliefert. Im Mai 1915 beschäftigten die Behringwerke 47 Personen, darunter drei kaufmännische Angestellte, Instituts- und Hilfsdiener, acht Pferdewärter und 25 Packerinnen.
Am 1. Juni 1915 wird gemäß Mietvertrag die Zementhalle der Ziegelei angemietet. Der Vertrag ist auf fünf Jahre angelegt. Die Halle wird zur Einstellung von Serumpferden verwendet und bietet auch die Möglichkeit, einen Wärterraum einzurichten. Darüber hinaus kann auf dem Heuboden Heu gelagert werden. Bis 1917 stieg das Personal auf 200. Der Umsatz betrug etwa 80.000 Mark, und der Bestand der Serumpferde vergrößerte sich auf 300 Tiere. Der Umsatz betrug dann schon ca. 220.000 Mark und steigerte sich bis zu Behrings Tod auf über 1 Mio. Mark. Bis zum Tode Behrings im Jahre 1917 blieb Siebert Geschäftsführer, danach auch wissenschaftlicher Leiter.
Während Carl Siebert im gesamten Zeitraum (bis 1921) als Geschäftsführer der Behringwerke fungierte, wirkte Behring als wissenschaftlicher Leiter. Am 31. März 1917 stirbt Behring an den Folgen einer Lungenentzündung in seinem Haus in Marburg. Nach seinem Tod zeichnet Siebert bis 1921 für die wissenschaftliche Arbeit verantwortlich.
1923 kam der Tierarzt Albert Demnitz zu den Behringwerken und wurde Leiter der Veterinärmedizinischen Abteilung. Nach Rückkehr von einem Forschungsaufenthalt wurde er 1928 Leiter der Produktionsabteilung der Behring-Werke Marburg, später Betriebsführer des Werkes im Verbund der I.G. Farben und schließlich Direktor.
Während der Zeit von 1933 bis 1939 wurde die gesamte deutsche Pharmaindustrie der I.G. Farben durch Staatsaufträge gelenkt und auch die Kriegsproduktion erfolgte von ganz Oben. In Lemberg/Ukraine (heute: Lwiw) errichtete die IG-Farben ein Behring- Institut für Fleckfieberforschung, das medizinischen Untersuchungen auch an Zwangsarbeitern vornahm.
Nach Auflösung der I.G. Farbenindustrie wurden die Behringwerke 1952 Teil der Hoechst AG. Traurige weltweite Berühmtheit erlangten die Behringwerke 1967, als es im Werk zum Ausbruch eines neuartigen Virus kam und zu vielen Erkrankungen und einigen Todesfällen führte. Eingeführt wurde das Virus durch Meerkatzen, die aus Uganda für die Impfstoffproduktion bezogen worden waren. Das „Marburg Virus“ wurde schließlich entschlüsselt, einen Impfstoff dagegen gibt es aber bisher nicht. Auch heute bricht die Krankheit in Afrika immer einmal wieder aus. Hiermit musste man sich erstmals mit einem Erreger beschäftigen, der von einem Tier auf dem Menschen übertragen wurde. Seinerzeit wurden alle Regierungen darüber informiert, dass durch den intensiveren internationalen Reiseverkehr mit weiteren Krankheiten zu rechnen ist, die durch Übertragung von Tieren, die manchmal nur Zwischenwirte sind, auf den Menschen mit unkalkulierbaren Risiken zu rechnen sei. Leider bestätigte sich diese Vermutung mehrfach bis mit dem Corona-Virus bis in die neueste Zeit.
Eine mikroskopische Darstellung des Marburg-Virus findet sich als Außenverkleidung der Fassade des Hochsicherheitslabors der Universität auf den Lahnbergen.
Ab 1997 wurden die inzwischen sehr umfangreichen Behringwerke in verschiedene Einzelfirmen aufgeteilt und verkauft oder fusioniert. Die Firmen, wie CSL Behring, Siemens, Healthineers, GlaxoSmithKline, Novartis, Dade Behring, Sanofi-Aventis und Pharmaserv teilten sich die Aufgabenbereiche auf und produzieren weiter am Standort Marburg. wobei die Pharmaserv GmbH als Betreibergesellschaft die Werkteile in der Marbach und den inzwischen nördlich angrenzenden Görzhäuser Hof. Weitere Firmen siedelten sich als Dienstleister in dem Industriepark an.
2005 wurde der Standort der ehemaligen Behringwerke durch den Hoechst-Nachfolger Sanofi-Aventis im Rahmen eines MBO an Privatpersonen verkauft, so dass der Standortbetreiber unabhängig blieb.
Die einzelnen Firmen entwickelten sich am Standort Marburg-Marbach immer schneller, so dass in der Folgezeit auf dem Gelände Görzhausen neue Gebäude entstanden. So baut z.B. CSL Behring derzeit eine neue Anlage zur Basisfraktionierung, die ab Ende 2022 die im Hauptwerk Marbach befindliche Anlage ersetzen und das Vierfache Volumen liefern soll und für andere Produkte weitere Verarbeitungsschritte vorgenommen werden. Die Investition belaufen sich auf insgesamt auf 547 Mio. €.
Ende 2018 gab der Standortbetreiber Pharmaserv CSL Behring bekannt, dass es ein neues Bürogebäude für 700 Mitarbeiter errichten wird. Auch CSL Behring baut seit Ende 2019 ein neues Laborgebäude für 600 Mitarbeiter.
Die Stadt Marburg beteiligt sich mit der Erschließung neuer Grundstücke in Görzhausen.
In den Standorten Marburg, Marbach und Görzhausen arbeiteten Ende 2019 etwa 6000 Mitarbeiter verteilt auf 16 Unternehmen. Der Standort "Behringwerke" hatte sich zu einem globalen Pharmaziestandort mit häufig wechselnen Unternehmen, Unternehmensbeteiligungen und Eigentumsverhältnissen, entwickelt, bei denen der Name "Behring" manchmal noch vorhanden ist, aber nicht mehr zwingend sein muss. Hier kann jedes Pharmaunternehmen, was es will. Anlagen und Fachpersonal ist immer da.
Das zeigte sich besonders 2020/21, als während der beginnenden COVIS 19 Pandemie das Mainzer Unternehmen Biontech die "Novartis Manufactoring Marburg GmbH" übernahm, um hier einen Impfstoff zu produzieren. Das Werk, das bereits große Erfahrungen und Praktiken in der Impfstoffproduktion hatte, wurde auf die Herstellung eines mRNA-Impfstoffes umgerüstet und produzierte bis Ende 2021 über eine Milliarde Impfdosen.
2021 teilte die Betreibergesellschaft des Pharma-Areals, die Infrareal GmbH (Mutterkonzern des Behring-Standortbetreibers Pharmaserv) mit, dass der neue Eigentümer des Behring-Standortbetreibern nunmehr die Swiss Life Asset Managers und die Gelsenwasser AG ist.
Obwohl der Pharmastandort die größte Einnahmequelle für die Stadt Marburg ist, erweist es sich als schwierig bzw. unmöglich, den Standort vernünftig an das überörtliche Straßennetz anzubinden oder dessen Weiterentwicklung zu fördern. Der Grund liegt wohl in der beinahe hysterisches Technologiefeind-lichkeit der studentischen und politischen Kräfte der Stadt. Auch die Weiterentwicklung des Gewerbeparks wird durch Bürgerinitiativen des angrenzenden Ortes Michelbach behindert...