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Eisenwerk Ehringshausen

Das Lahn-Dill Gebiet war jahrhundertelang die führende Region in der Herstellung von Eisen und Stahl. Die Hochöfen, die mit Holzkohle beheizt wurden, verloren gegen Ende des 19. Jahrhunderts in dieser Region an Bedeutung, weil sie technisch nicht so einfach auf Steinkohle umgestellt werden konnte und z.T. das technische Know-how dafür fehlte.

Die Inhaber der Hochöfen an Lahn und Dill gingen schrittweise dazu über, Roheisen am Markt einzukaufen und dieses in Gießereien zu Stahl zu veredeln oder um daraus mit Hilfe von Kupolöfen andere Gießereiprodukte herzustellen.

Eine dieser großen Eisenhütten- und Eisengrubenbesitzer war die Familie Jung aus Steinbrücken im Dietzhölztal nordöstlich von Dillenburg.

 

Am 10. Januar 1902 kauften die Brüder Eberhard Jung, Fritz Jung und Rudolf Jung die Holzschneidemühle der Familie Deutgen in Ehringshausen. Das Werk lag direkt an der Dill und der Eisenbahnlinie Gießen-Köln. Dieses Werk bauten sie zu einer Eisengießerei um. Leiter der Gießerei wurde Rudolf Jung und Betriebsleiter wurde Ing. Friedrich Heuser aus Burg. Der Betrieb begann 1904 mit 50 Arbeitern und er firmierte als „Eisengießerei Ehringshausen“. Die Eisengießerei wurde zu einem Zweigwerk der Burger Eisenwerke der Familie Jung und damit Bestandteil des Jung’schen „Hessen-Nassauischen Hüttenvereins“.

Zunächst stellte die Gießerei Gussteile für den Ofenbau der benachbarten Burgerhütte her.

Der Betrieb florierte, so dass zwischen 1906 und 1908 eine Schlossereiwerkstätte eingerichtet, ein Magazinanbau und ein Kontor errichtet wurden. Die Belegschaft war bis 1907 auf 150 Mitarbeiter angestiegen.

Die Kooperation mit den Burger Eisenwerken wurde immer enger, so dass ab 1910 auch ein Emaillierwerk errichtet und Öfen für die Burger Eisenwerke hergestellt wurden. Auch wurde die Produktion von Poteriewaren (Kochtöpfe, Bratpfannen usw.) aufgenommen.

 

Im 1. Weltkrieg wurden ‚Kanonenöfen‘ für Schützengräben und Unterstände gebaut.

Wichtige Berufe waren der Ziseleur und der Formbauer zur Herstellung der vielen Verzierungen und Formen der Öfen.

Nach dem 1. Weltkrieg ging die Produktion zunächst zügig weiter bis als Folge der Geldentwertung ein Streik 1921 das Werk für 6 Wochen lahmlegte.

Nach Ende der Inflationszeit ging man 1926 zur Fließbandfertigung über. Alle Fülltüren, Feuertüren, Aschentüren, Feuerroste und Stehroste für alle Ofen- und Herdtypen für die Burgerhütte und die eigene Ofenproduktion wurden auf diesem Band geformt und gegossen. Daneben wurden Öfen, Herde und Poteriewaren per Hand gefertigt, wobei Töpfe, Pfannen und andere Poteriewaren aus hygienischen Gründen inoxydiert, d.h. oberflächenbehandelt wurden.

Der ‚Schwarze Freitag‘ 1929 hatte auch Auswirkungen auf die mittelhessische Wirtschaft. Die Burger Eisenwerke musste 1930 ihre Erzgruben im Schelder Wald stilllegen. Der Betriebsleiter ersetzte den erkrankten Betriebsleiter der Burger Eisenwerke mit Friedrich Heuser. Neuer Betriebsleiter in Ehringshausen wurde der Bergbauingenieur Heinrich Neeb.  Die freigewordenen Grubenarbeiter wurden auf die den Burger Eisenwerken zugehörenden Betrieben verteilt. Wegen der immer noch sehr schwankenden Auftragslage wurden je nach Situation Arbeiter eingestellt oder entlassen, im Januar 1931 gleich 280 auf einmal.

 

1933 begann ein neuer Aufschwung und es wurden laufend neue Arbeitskräfte eingestellt.

1935 wurde zwischen dem Hessisch-Nassauischen Hüttenverein und den Buderus’schen Eisenwerken ein Interessengemeinschaftsvertrag geschlossen, dem zu Folge die Burger Eisenwerke GmbH ein selbständiges Unternehmen wurde. Das Eisenwerk Ehringshausen wurde im Zuge der sich andeutenden Mobilmachung auf Weisung der Burger Eisenwerke zu einem Leichtmetallgusswerk umgerüstet. Mit dem Großunternehmen der I.G. in Bitterfeld, dem führenden Werk für Leichtmetallguss, schloss man einen Lizenzvertrag zur Errichtung einer Magnesium-Gießerei ab. In Ehringshausen wurden nun Flugzeug Zellen und Flugzeugräder aus Magnesium-Gusslegierungen sowie Granatwerfer für die Infanterie hergestellt.

Dieser Leichtmetallguss war völlig neu. Die Einarbeitung, unter ständiger Beratung aus Bitterfeld, dauerte 1 ½ Jahre.

Liefen Grauguss und Leichtmetallguss zunächst noch parallel, wurde der Grauguss 1938 völlig eingestellt. Für spätere Kriegszwecke war die Gussabteilung zu klein und es wurde unter Mithilfe von Dipl.Ing. Werner Sell von den Burger Eisenwerken auf 100 Meter Länge, 25 m Breite und 10 m Höhe beträchtlich erweitert.

Die Flugzeugzellen wurden in großen Mengen von Junkers, Heinkel, Focke Wulf und Messerschmitt bestellt. Die Mitarbeiterzahl stieg bis 1938 auf über 1150. 1941 wurde das um eine Bearbeitungshalle erweitert. Die Maschinen dafür kamen aus französischen und bergischen Betrieben. Es trafen auch die ersten Gefangenen aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden ein. Dadurch erhöhte sich die Belegschaft auf 1500 Mitarbeiter, zusätzlich bis 1944 etwa 725 ausländische Mitarbeiter (Männer und Frauen). 1944/45 waren es sogar 1800 Beschäftigte.

Werner Sell, der inzwischen im Luftfahrtministerium in Berlin arbeite, ließ 10 unterkellerte 2-stöckige Holzhäuser nach Ehringshausen und 10 nach Burg kommen, die den Gefangenen als feste Unterkunft diente.

 

Produktion nach 1945

Nach Ende des Krieges musste wieder auf Friedensproduktion umgestellt werden. Die Amerikaner hatten das Werk zum großen Teil besetzt, ermöglichten aber bald die Aufnahme der Produktion. Man entsann sich auf die frühere Poteriefertigung und baute, den Erfordernissen angepasst, Kochtöpfe und andere Haushaltsartikel aus Aluminium. Zusätzlich wurden hydraulische Wagenheber gefertigt.

Die Haupttätigkeit des großen Werkes war das Umschmelzen von Aluminiumschrott, der von abgeschossenen Flugzeugen jeglicher Art durch die Staatliche Erfassungsgesellschaft (Steg) dem Werk zugewiesen wurde.

Das Werk Ehringshausen war nach dem Krieg die einzige Magnesium-Sandgießerei und verfügte noch über große Metallvorräte. Das eröffnete neue Kunden, z.B. Hersteller von Straßenschilder und Röntgengeräte sowie der Fahrzeugindustrie.

 

Die Wiedereinrichtung einer Eisengießerei

Parallel zum Leichtmetallguss wurde an die Wiedereinrichtung der Eisengießerei ab 1949 gearbeitet.

In Burg hatte man einen Gaskaminofen entwickelt, der in Ehringshausen gebaut wurde. Neuartige Kupolöfen wurden angeschafft, mit denen man ab September 1949 wieder dünnwandige und emaillierfähige Bleche herstellte. Ab 1952 kamen Ölofen dazu. Später Badeöfen, Geschirrspülmaschinen und anderes hinzu. Die Belegschaft stieg bereits 1951 auf ca. 1000 Mitarbeiter.

 

Die Leichtmetall-Druckgießerei:

Der vorgesehene Aufbau einer Leichtmetall-Druckgießerei wurde durch das Kriegsende zunächst unterbrochen, begann aber 1946 nach Lieferung der Druckgussmaschinen aus Esslingen. Die Druckgussformen wurden in Leonberg und Markgrönigen unter Mithilfe von Alfred Bauer, dem Druckguss-Fachmann Nr.  1, hergestellt. Bauer ging 1947 zu der größten Druckgussgießerei in die USA und wurde deren erster Präsident. Das Werk lieferte Druckgussteile für die Burger Eisenwerke, Kameragehäuse, Feldstechergehäuse und Teile für die Elektro-Industrie. Mit dem Aufbau großer Druckmaschinen wurde das Steuergehäuse für Motoren von OPEL mit monatlich 30.000 Stück ein Hauptprodukt, das eine besondere Auszeichnung der Schmelzhüttenindustrie erhielt.

1969 waren 19 Druckgussmaschinen im Einsatz, die monatlich 100 t produzierten. Die Konzentration auf die Produktion für die Automobilindustrie erforderte noch größere Druckgussmaschinen und eine besonders strenge Qualitätskontrolle, die mit modernsten spektrometrischen und Röntgenuntersuchungen mehrmals täglich durchgeführt wurde. Auch für das bezogene Rohmaterial wurden strenge Toleranzen bestimmt.

 

Die Leichtmetall-Kokillengießerei (Leichtmetallguss in feste Metallformen):

Schon in den letzten Kriegsjahren wurde in der Flugzeugrad-Fertigung Kokillenguss eingesetzt. 1946 begannen die eigentlichen Kokillengussversuche. Das erste Produkt war ein Absorberkühlkopf für einen Kühlschrank von Linde. Man konzentrierte sich auf die Fertigung für die Automobilindustrie, z.B. Zylinderköpfe für den 1,3 Liter OPEL Kadett Motor.

In den 1970er Jahren wurde die Kokillengussproduktion stark ausgeweitet, so dass die Produktion in das Werk von Buderus in Hirzenhain am Rande des Vogelsberg verlegt wurde. 

 

Die Maschinenfabrik

Aus der 1800 m2 großen Bearbeitungshalle von 1942 wurde eine Maschinenfabrik, die vor allen im Auftrag der Fa. Hofmann & Schwabe aus Krefeld durch Vermittlung der Frank’sche Eisenwerke in Dillenburg Maschinen baute. Dazu gehörten unterschiedliche Kaschiermaschinen, Lackier- und Tiefdruckmaschinen, Filmgießereimaschinen, Schneidemaschinen, Foto-Entwicklungsmaschinen u.v.a.m.

Diese Programme liefen jedoch Anfang der 1960er Jahre aus.

 

Die SELL-Flugzeugbordküchen-Fertigung

Da sich die Flugzeugbordküchenproduktion nach der Gründung der Lufthansa rasant entwickelte, wurden ab 1979 die SELL-Flugzeugküchen auch in Ehringshausen gebaut, da man in Ehringshausen ausführliche Erfahrungen und Material für den Leichtmetallbau besaß.

 

Übernahme durch Buderus:

1958 übernahm Buderus die Eisengießerei Ehringshausen. Die Graugießerei, die Leichtmetall-Sandgießerei und das Emaillierwerk wurden geschlossen und die Belegschaft um die Hälfte reduziert. Die betroffenen Belegschaftsmitglieder wurden von den Werken Burg, Herborn und der Firma Küster in Ehringshausen übernommen.

In Ehringshausen wurde eine Kunststofffabrikation der Firma „OMNIPLAST“ aufgebaut die Kunststoffrohre für die Kanalisation und Erdgasleitungen hergestellt. Später kam die Plastikspritzgießerei hinzu. Die Kunststoffbranche florierte dermaßen, dass Stand der Belegschaft von früher wieder erreicht wurde.

Nach 2000 ließ die Nachfrage nach Kunststoffröhren und anderen Kunststoffteilen infolge zunehmender Konkurrenz nach, so dass sich 2017 bereits Schwierigkeiten einstellten und 2020 wurde nach erfolgloser Insolvenz die Fertigung völlig eingestellt.

Das Werk Ehringshausen war nach fast 150 Jahren Geschichte geworden.

Das Gelände wurde von verschiedenen Industriebetrieben genutzt, zuletzt von einer Pharmafirma, die auch ein Logistikzentrum betreibt.

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