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Geschichte von Industriebetrieben in Mittelhessen-
Eine Webseite des "Mittelhessen e.V". des RP Gießen und des "Netzwerkes Industriekultur Mittelhessen"
Selterswasser
Wer kennt nicht das 'Selterswasser', dessen Name Synonym für alle Mineralwasserprodukte wurde. Ein Arzt erkannte vor ca. 500 Jahren die Heilwirkung des in Selters im Taunus geförderte Mineralwasser, wahrscheinlich weil es sauberer war als das Brunnenwasser. Diese Endeckung förderte eine umfangreiche Mineralwasserindustrie. Die Wässer wurden, zunächst in Tonflaschen, in alle Welt verkauft, vor allem in vermögendere Kreise. Heute ist eine Weltindustrie daraus geworden, auch wenn sich der Nutzen in Ländern mit guter Trinkwasserversorgung vermutlich eher im Kopf abspielt.
Kohlensäurehaltige Mineralwasser galten seit dem 15. Jahrhundert als Heilwasser für unterschiedliche Beschwerden. Der Wormser Arzt Jacob Theodor Tabernaemontanus stellte 1581 in seinem Werk "Der Neuw Wasserschatz die Heileigenschaften" des Niederselters Mineralwasser heraus. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten sich Trinkkuren etabliert und Ende des 17. Jahrhunderts waren sie fester Bestandteil von Handelswaren. Heute übersteigt der Pro-Kopf-Verbrauch von Mineralwasser von 134 Litern pro Person dem des Bieres um ca. 35%.
Von den zumeist mittelständischen Mineralbrunnenbetrieben setzte sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts der Mineralbrunnenbetrieb aus Niederselters/Ts. (heute Landkreis Limburg-Weilburg) durch. 1791 wurden bereits 1,65 Mio. Krüge abgesetzt. Die Krüge hatten schon etwa die Form einer heutigen Flasche, und wurden aus dem Kannebäckerland im Westerwald bezogen. Der Begriff „Selters“ bzw. „seltz“ avancierte in diversen romanischen Sprachen zum Gattungsbegriff für kohlen-säurehaltiges Wasser und ist bis heute als Synonym für Mineralwasser bekannt, selbst in Russland unter dem Begriff „Seltsterskaya woda“.
Obwohl die Quelle am Fuße der Burg Löhnberg schon lange bekannt und populär war, stieg das eigentliche Interesse an Mineralwasser erst in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts nach den Veröffentlichungen von Tabernaemontanus und anderen Schriften sprunghaft an. Im Jahre 1606 wurde die Quelle neu gefasst und das süße von dem salzigen Wasser getrennt, vermutlich nicht von der einheimischen Bevölkerung, sondern von Personen, die sich rund um Brunnen Gewinne erhofften. Es gab auch schon einfachen Kurbetrieb, denn der Versand des Wassers war zu der Zeit noch nicht möglich. Die Quelle, zunächst Eigentum der Kirche von Niederselters, ging 1681 mit den Bestimmungen des fürstlichen Bergregals in das Eigentum des Landesherrn, dem Kurfürsten von Trier über. Die Trierer Hofkammer verwaltete den Domanialbesitz und verpachtete die Quelle. Der Handel lag anfangs in den Händen einheimischer Fuhrleute. Die Tonflaschen mussten aber immer das kurtrierische Siegel tragen. Ab 1722 gab es eine Brunnenordnung, die Öffnungszeiten, Preise und sonstige Pflichten des Pächters regelte.
Die Verpachtung an Johann Adam Rauch im Jahre 1720 erwies sich als Glücksfall. Trotz oft unsauberer Geschäftspraktiken entwickelte der den Brunnenbetrieb zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor und bescherte der Trierer Hofkammer üppige Einnahmen. Rauch beschäftige lediglich einen Brunnenknecht. Nur in Stoßzeiten wurden einige Tagelöhner eingestellt. Nachdem der berühmte Arzt Professor Friedrich Hoffmann, Mitglied der englischen und preußischen Akademie der Wissenschaft, seinen Bericht über die Wirkung und Heilungsmethoden des Selterswassers veröffentlicht hatte und dieser in mehreren Sprachen übersetzt wurde, explodierte die Nachfrage nach Selterswasser. Er hatte auch bewiesen, dass die Wirkung des Wassers durch Transport der Tonflaschen nicht behindert wird. Um 1750 wurden etwa 500.000 Krüge verkauft, die Gewinne der Hofkammer nahmen in nur 12 Jahren um ca. 21,500 % auf 13000 fl. im Jahre 1752 zu.
Die internationale Bekanntheit des Selterswassers wurde durch viel „Propaganda“ erreicht, wobei die Brunnenverwaltung jährlich größere Summen ausgab, um Bekanntmachungen in Zeitungen in Auftrag zu geben und Brunnenschriften drucken zu lassen, die an die Mineralwasserhändler und deren Kunden verteilt wurden. Die Abfüllung erfolgte in gleichgestalteten Tonkrügen mit einge-drückten Siegeln, dem Symbol des jeweiligen Landesherren und der Umschrift SELTERS vertrieben. Schon im 17. Jahrhundert wurde ein weitreichendes Vertriebsnetz aufgebaut. Kommissionäre, Agenten, Groß- und Einzelhändler wurden mittels fester Transportrouten mit Waren und Werbematerial versorgt.
War das Mineralwasser zunächst der Oberschicht vorbehalten, wurde es durch die Verbesserung der Verkehrsverbindungen und der Einkommensverhältnisse in der Industrialisierungsphase auch der neu entstandenen Mittelschicht leichter erschwinglich. Die Lahn als Wasserstraße, neue Chausseen und schließlich die Eisenbahn trugen zum Übergang der zunächst handwerklich betriebenen Abfüllung zur industriellen Produktion bei. In der 2. Hälfte des 17. Jh. setzte sich der wirtschaftliche Merkantilismus durch. Die Mineralwasserquelle wurde nun vom Trierer Landesherrn durch Steuervergünstigung u.a. Vorteile unterstützt, um Devisen zu erwirtschaften. Es war auch ein Prestigesymbol, Selterswasser zu besitzen. 1730 kostete ein Krug 4 Kreuzer, 1733 sogar 9 kr. Das konnten sich nur Gutbetuchte leisten.
Als 1753 der Pächter der Quelle starb, übernahm der Kurfürst von Trier selbst den Brunnen. Er setzte Verwalter und Buchhalter ein und kontrollierte jährlich die Bücher und die Quelle vor Ort. Mit kriegs- oder witterungsbedingten Abweichungen stieg der Nettogewinn von 1754 mit 18.622 fl. bis 1802 auf 50.465 fl. Das entsprach zwischen 10% - 15% der Einnahmen der kurtrierischen Hofkammer. Es entstanden in der Zwischenzeit sehr viele Brunnenbetriebe, manche auch mit höheren Verkaufszahlen, das Image des Selterswassers konnten sie jedoch zunächst nicht erreichen.
1803 ging der Brunnen in den Besitz des Herzogtums Nassau über und wurde auch nach 1868 als einer von sieben staatlichen Brunnen der preußischen Provinz Nassau weitergeführt. Die neuen Bedingungen, der sich wandelnde Geschmack und die Funktion, die das Wasser beim Kunden einnahm, führten schließlich dazu, dass Niederselters seine Vormachtstellung auf diesem Markt einbüßte und sie um 1880 an einen Hersteller halbkünstlicher Mineralwasser und Erfrischungsgetränke mit Markennamen Apollinaris abtreten musste, ohne dass allerdings der Absatz in größerem Umfang zurückgegangen wäre. Mineralwasser wurde im 19. Jh. zunehmend industriell gefertigt, wobei die von dem Arzt und Apotheker Adolph August Struve 1818 entwickelten künstlichen Mineralwässern immer mehr an Bedeutung gewann. Eine folgenreiche Entwicklung begann 1894 mit der Verpach-tung der staatlichen Brunnen von Niederselters, Fachingen und Geilnau an den Unternehmer Friedrich Siemens. Er erwarb viele Brunnen und wurde zum wichtigsten Unternehmer der Brunnen an der Lahn.
Im 20. Jahrhundert wurden viele Mineralwasserquellen in Selters und der Umgebung (Leun, Biskir-chen, Fachingen u.a. Orten) erschlossen.
Ein Unternehmen erbohrte 1896 die August-Victoria-Quelle und errichtete ein Kohlesäurewerk. Von dieser Quelle wurden 1901/02 mehr als 3,2 Mio. Gefäße verkauft, mehr als der Brunnen in Niederselters. Ebenfalls wurde 1896 von einem anderen Unternehmen die „Neue Selterser Mineralquelle“ erschlossen. Sie gehört heute, nachdem das Geschäft mit Mineralwasser weltweit von großer Bedeutung wurde, zum Schweizer Nestlé-Konzern.